Frieden!

Sind wir naiv?

Wir leben wieder im Krieg. Die Kirchen rufen zu Friedensgebeten, Demonstrationen und Mahnwachen auf. Ich möchte heute an das große Friedensbild des Propheten Jesaja erinnern: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Kein Volk wird wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Jesaja 2,4).

Schon höre ich die Einwände: „Naives Geschwätz! Das ist was für Schwächlinge und Träumer. Was wir jetzt brauche, ist ein Zeichen der Stärke. Keine Sanktion kann den Autokraten stoppen. Kein Dialog. Die einzige Sprache, die er versteht, ist die Sprache der Waffen.“

Die Einwände treffen mich. Es stimmt, ich war naiv. Ich habe bis zuletzt geglaubt, dass Putin nicht in die Ukraine einmarschieren wird. Ich habe bis zuletzt geglaubt, dass es ein großer Fehler wäre, der Ukraine Waffen zu liefern. „Gib niemanden verloren“ – so habe ich es bei meiner Ordination versprochen. Doch wer schießt, der gibt verloren.

Inzwischen bin ich in der Realität angekommen. Und doch glaube ich weiterhin, dass wir das Friedensbild Jesajas brauchen. Dass Europa auf den Übergriff Putins jetzt mit Aufrüstung und Waffenlieferungen antwortet, ist wohl berechtigt. Aber es gilt auch: Ein Krieg ist immer eine Katastrophe. Ein Krieg mag notwendig sein, ein Krieg mag sogar gerecht sein und einer guten Sache dienen – aber er bleibt eine Katastrophe.

Darum sollten wir die Friedensbewegten nicht als weltfremde Träumer und Schwächlinge belächeln. Wir brauchen sie. Ihre Stimme ist das notwendige Gegengewicht zur Stimme derer, die jetzt zu Aufrüstung und Wehrpflicht rufen. Nur wer beide Stimmen in sich hört und ernst nimmt, bleibt besonnen. Darin ist mir Dietrich Bonhoeffer Vorbild: Er war beides, ein Pazifist, der sich dem radikalen Frieden verpflichtet fühlte, und ein Realist, der wusste, dass der Tyrann nur mit Gewalt besiegt werden kann.

Möge Gott uns und diese Welt auf den Weg des Friedens bringen.

Pfarrer Dr. Hans Joachim Stein, Murrhardt